Der Zen-Meister

 

 Ein buddhistischer Schüler aus Europa besuchte einen berühmten Zen-Meister in einem abgelegenen Tal auf der japanischen Insel Shikoku.

Es war sein lange gehegter Wunsch, den Meister persönlich kennen zu lernen. Der junge Mann hatte sich jahrelang auf die beschwerliche Reise vorbereitet, und er freute sich sehr auf  die Begegnung.

Am zweiten Tag nach der Ankunft im Tal war es endlich soweit: Der Schüler durfte den Meister kennen lernen.

Aufgeregt trat er in den Garten des Klosters, wo der Meister den Kiesweg vom Laub befreite.

Endlich konnte er dem Meister jene Frage stellen, welche ihn seit Jahren so sehr beschäftigt hatte:

„Meister, wie war es, als Ihr die Erleuchtung erlangt habt? Was hat sich in Ihrem Leben dadurch am stärksten verändert?“

Der Meister blickte den Schüler freundlich an, lächelte und antwortete ruhig und mit leuchtenden Augen: „Seit ich erleuchtet bin, wische ich das Laub im Garten.“

 

Der Schüler konnte mit dieser Antwort nicht viel anfangen, und erwiderte: „Ja, aber… Was habt Ihr denn vor der Erleuchtung gemacht?“

Der Meister antwortete mit strahlenden Augen: „Oh, vor der Erleuchtung, da habe ich jeweils das Laub im Garten gewischt“.

 

Der Schüler erkannte den Unterschied nicht ganz und blickte den Meister scheu und fragend an:

Dieser erkannte die Unsicherheit beim Schüler und erklärte geduldig: „Weißt Du, seit ich erleuchtet bin, wische ich das Laub voller Liebe und Hingabe.“

 

Der Schüler begriff: „Aahh, jetzt beginne ich zu verstehen… Und vor der Erleuchtung, wie habt Ihr denn da das Laub gewischt?“

 

Der Meister antwortete begeistert: „Ja, siehst Du, vor der Erleuchtung, da habe ich das Laub jeweils ebenfalls voller Liebe und Hingabe gewischt!“